*ismus-Vorwürfe und ihre Inkonsistenz

Als letzte Woche nach mehr als 20 Jahren wieder Der heiße Stuhl lief, ist mal wieder etwas ganz typisches für deutsche Debatten um Migranten passiert: Es kam ein Rassismus-Vorwurf.

Zunächst mal, was gesagt wurde. Spiegel Online hat den Moment festgehalten:

300.000 Muslime lebten in Berlin, so Sarrazin weiter, und 300.000 Polen – die allerdings keine solchen Probleme machten. “Das ist Rassismus in Reinform”, braust Hübsch auf, “nur zu ihrer Information.”

Und da ist mir etwas aufgefallen. Ich habe das mal in einer Grafik festgehalten:

Die *-ismus-Vorwurfs-Asymmetrie

ismen

Es fällt auf, dass die Feststellung von Ungleichheiten nur in bestimmten Fällen zu einem *-ismus-Vorwurf führt.

Ich hatte dann auf Facebook gefragt, woran das liegen könnte:

Ursache: Opfer-Status?

Mein erster Gedanke war, dass es mit bestehender oder nicht-bestehender Opfer-Rolle der “schlechter wegkommenden” Gruppe zusammenhinge:

  • Wenn Männer bei der Aussage schlecht wegkommen, sei es kein Sexismus, weil es Sexismus nur gegen schwächere Gruppen geben könne – und Männer eben nicht als schwach gelten.
  • Wenn Muslime bei der Aussage schlecht wegkommen, sei es aber eben Rassismus, weil Muslime als schwache Gruppe gelten.

Dann aber fragt sich, was mit den anderen Aussagen ist. Arme gelten ja durchaus schwächer als Reiche und Ungebildete durchaus schwächer als Gebildete. Dennoch habe ich bei o.g. Aussagen noch keinen Klassismus oder Ableismus-Vorwurf gehört.

Ursache: Impliziter “Biologismus“?

In den Facebook-Kommentaren gab es dann die These, dass der *-ismus-Vorwurf dann kommt, wenn der Hörer glaubt, dass Biologie mitgemeint sei: Bei “Muslime sind krimineller als Nicht-Muslime” könne man evtl. davon ausgehen, dass der Sprecher gleichzeitig mitmeinen würde, die Gene der Muslime seien daran schuld. Daher der Rassismus-Vorwurf.

Auch das fand ich aber wenig überzeugend: Ich glaube, auch wenn der Sprecher explizit dazu sagen würde, es wäre allein die kulturelle Prägung der Muslime schuld dadran, er würde trotzdem den Vorwurf kriegen.

Auch glaube ich, dass jemand, der bei der Männer/Frauen-Aussage biologische Gründe ins Spiel bringt, weiterhin nicht mit einem Sexismus-Vorwurf rechnen müsste.

Meine These: Behauptungen über die Welt können nicht *-istisch sein

Inzwischen ich glaube, dass Aussagen über den (vermeintlichen) Zustand der Welt prinzipiell nicht *-istisch sein können. Solche Behauptungen können nur richtig oder falsch (oder irgendwas dazwischen) sein.

Rassistisch oder sexistisch können m.E. nur Handlungen sein, zB eben die Schlechterbehandlung einer bestimmten Gruppe.

Wenn also zB jemand fordert, dass Männer, Frauen, Muslime oder Nicht-Muslime anders behandelt werden sollen, dann kann erst da schauen, ob Rassismus oder Sexismus vorliegt.

Aber wenn jemand nur behauptet, dass Männer oder Muslime irgendetwas mehr oder weniger seien, kann diese Aussage eben einfach nur einen Wahrheitsgrad von 0 bis 1 haben.

Sicher, so eine Behauptung kann natürlich auch grotesk falsch sein, sie kann auch böswillig motiviert sein – aber dann ist die passende Reaktion eben: Die tatsächlichen Fakten entgegenstellen. Eine Etikettierung dagegen bringt keinen Erkenntnisgewinn.

Ich glaube, das ist die wesentliche, fehlende Unterscheidung, die bislang soviel Verwirrung und Eskalation in die Debatten bringt.

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