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Was Eure Aufrufe zu Nüchternheit gegenüber Terrorangst vergessen

Am vergangenen Montag konnte ich mich zum ersten Mal bei Facebook als “safe” markieren. Es ist diese Funktion, die Facebook seit mehr als einem Jahr bei “Großereignissen” mit vielen Todesopfern anbietet. “Ich bin entkommen”, kann man so all seinen Freunden mitteilen.

In den Tagen danach haben viele von Euch, die auch entkommen sind, verschiedene Botschaften gesendet. Eine häufige war dabei, die Terrorgefahr doch einmal “realistischer” zu sehen: Es sterben kaum Menschen an Terror, viel weniger als zB bei Verkehrsunfällen. Daher sei es irrational, sich von Terrornachrichten beeindrucken zu lassen. Am besten sollte man die Terroristen ignorieren, dann erreichen sie nämlich ihr Ziel nicht.

Wer mich kennt, weiß, dass ich ein großer Fan von Rationalität und Nüchternheit bin. Insofern finde ich solche Denkansätze erstmal super. Allerdings sollte man dann auch aufpassen, ob die (angebliche) Rationalität und Nüchternheit nicht einfach den Diskurs beschränkt, und man vielleicht nur unangenehmen Fragen und Schlussfolgerungen ausweichen will.

Um dem zu entgehen, empfehle ich folgenden Lackmustest: Stellt Euch das gleiche Ereignis noch einmal vor, diesmal aber mit ganz anderen Akteuren. Und schaut, wie gut Eure Interpretationen und Argumente dann noch passen.

Stellen wir uns zum Beispiel vor, am vergangenen Montag wäre ein polizeibekannter, bereits unter Beobachtung stehender Neonazi mit einem LKW in eine Flüchtlings-Zeltunterkunft gefahren und hätte dort 11 Refugees überrollt.

Daraufhin hätte ein deutscher Politiker  folgendes getwittert:

Stellen wir uns weiter vor, an Refugees würden dann folgende Flyer ausgeteilt (übersetzt in ihre Sprachen natürlich):

An Neonazi-Terroranschlägen auf Flüchtlinge sind bislang kaum Flüchtlinge gestorben, zumindest sicherlich weit weniger als an zB Verkehrsunfällen. Die Gefahr für einen Flüchtling oder sonstigen Migranten, durch Neonazi-Terroristen zu sterben, ist und wäre weiterhin viel geringer, als zB an einem Verkehrsunfall zu sterben.

Wäre es da nicht richtig und hilfreich, Migranten genau dadrauf hinzuweisen? Ihnen klarzumachen, dass sie keine Angst haben müssen? Dass sie weiter in Ruhe einkaufen gehen und Sex haben können? Weil ja die Statistik so eine klare Sprache spricht?

Irgendwie ahne ich aber, dass das nicht passieren würde. Ganz im Gegenteil: Ich glaube, dass diese beiden Tweets einen Sturm der Entrüstung auslösen würden.

Ich glaube zudem, dass man sehr schnell Fragen stellen würde wie:

  • Ist die Polizei und ihr (vermeintlich) laxer Umgang mit Neonazis mitschuld?
  • Hat die deutsche Mehrheitsgesellschaft ein Klima des Rassismus kultiviert,
    dessen Spitze wir hier nun sehen?
  • Sind es die Toten der AfD?

Alles Fragen der Art, die jetzt – beim islamistischen Terroranschlag – entschieden abgelehnt werden.

Warum also der Unterschied? Für mich deutet das darauf hin, dass es vielen Nüchternheits-Mahnern oft nicht so sehr um Rationalität geht, sondern um die Pflege der eigenen politischen Agenda:

  • Können aus der entstandenen Angst politische Maßnahmen entstehen, die mir missfallen, versuche ich die Angst zu bekämpfen, Generalisierungen nicht zuzulassen, die Verantwortung dem “verwirrten Einzeltäter” zuzuschreiben.
  • Kann die Angst dagegen helfen, dass politischen Entscheidungen in meinem Sinne getroffen werden, rede ich der Angst das Wort, sehe ein gesamtgesellschaftliches Problem und generalisiere.

Oder um es mit Karl Marx zu sagen: Passt ein Terroranschlag in mein gesellschaftliches Feindbild, wird die Verantwortung dadran sozialisiert – passt er nicht, wird sie privatisiert.

Wie anders der Umgang mit Terror tatsächlich sein kann, konnte man gut bei der Aufdeckung der NSU-Mordserie sehen. Ich erinnere mich da an keinen einzigen Artikeln, der Migranten vorgerechnet hat, wie unwahrscheinlich es doch sei, dass sie durch einen rassistisch motivierten Mord sterben werden. Dagegen gab es viele Artikel, die eine Schuld bei den Polizeibehörden und beim Staat gesehen haben, und selbst hochrangige Politiker sahen das so. Sogar eine Demonstration wurde mit einem Aufruf angemeldet, der ganz klar argumentierte:

Ermöglicht wurde diese Terrorserie durch einen Rassismus, der das Handeln der meisten Menschen in diesem Land, staatlicher Behörden und der Polizei bestimmt. Rund um die Taten des NSU zeigt sich eine arbeitsteilige Verknüpfung von schweigender bis zustimmender Bevölkerung und den mörderischen Aktionen der Neonazis.

Es ist also die Rede von einer breiten Mitverantwortung – etwas, was beim islamistischen Terroranschlag als Instrumentalisierung gebrandmarkt wird.

~

Diese selektive Argumentation mag natürlich psychologisch nachvollziehbar sein, führt aber nicht zur Wahrheitsfindung, nämlich der Frage: Gibt es nun tatsächlich gute Gründe, mehr Angst zu haben? Ist es nun richtig, bestimmte Politik zu ändern?

Und beide Fragen haben wahrscheinlich keine endgültige objektive Wahrheit, ihre Antwort hängt sehr davon ab, welche Maßstäbe man ansetzt, welche Werte und Ziele man wie abwägt.

Aber ich will einen Aspekt herausgreifen, der in den “Statistik- und Wahrscheinlichkeitsdebatten” zu kurz kommt: Sterben allein ist nicht das, wovor wir Angst haben. Das Wie und das Warum scheint auch sehr relevant zu sein.

Dazu folgende Testfrage: Stellt Euch vor, ein von Euch geliebter Mensch

  • stirbt an einem Verkehrsunfall
  • stirbt bei einem Terroranschlag

Wäre Eure emotionale Reaktion in beiden Fällen die gleiche? Immerhin das “Ergebnis” wäre ja das gleiche: Der Mensch wäre nicht mehr da. Seine und Eure Möglichkeiten, mit ihm Glück zu erleben, Erfahrungen zu teilen, einfach Zeit auf dieser Welt zu verbringen – sie wären in beiden Fällen gleichermaßen nicht mehr gegeben.

Dennoch aber vermute ich, dass Euch der Tod durch einen Terroranschlag schlimmer treffen würde. (Zumindest mir ginge es so.)

Es sieht also so aus, dass allein das Zählen von Toten nicht ausreicht, um das Leid zu messen, das wir individuell oder als Gesellschaft empfinden.

Wer mir hier nicht folgen kann, dem möchte ich noch ein weiteres Beispiel
geben (evtl. etwas zu skurril, aber fiel gerade kein besseres ein):

Stellt Euch vor, wir arbeiten zusammen an einer Werkbank. Plötzlich fällt der
Hammer aus meiner Hand auf Deinen Fuß.

  • Variante 1: Ich zeige mich tief erschrocken und entschuldige mich mehrfach.
  • Variante 2: Ich grinse Dich an und sage unmissverständlich: “Das war
    Absicht!”

Auch hier wäre in beiden Fällen der physische Schmerz der gleiche: Der Hammer hätte in beiden Varianten das gleiche Gewicht. Dennoch vermute ich aber, Dein empfundener Schmerz, und insbesondere Deine Verunsicherung im künftigen Umgang mit mir wäre bei Variante 2 ungleich höher.

Es tut offenbar mehr “weh”, wenn ein Tod oder ein Schmerz mit Absicht verursacht wurde. Anders gesagt: Die soziale Botschaft parallel zum Vorfall kann das Leid wesentlich vergrößern.

Un genau genommen ergibt sich aus dieser sozialen Botschaft ja auch eine größere Wahrscheinlichkeit für künftige Fälle:

  • Nach einem aus Versehen herunter gefallenem Hammer oder einem Verkehrsunfall kann man immer noch von gewissen Konstanten ausgehen: Die Motorik des Mitarbeiters wird sich nicht plötzlich verändert haben, die Sicherheitsausstattung der Autos ist immer noch die gleiche, das Fahrverhalten der anderen Autofahrer wird durch den Unfall nicht unvorsichtiger (eher vorsichtiger).
  • Anders aber beim absichtsvollen Hammerfall oder einen Terroranschlag: Hier gibt es ja kaum Konstanten, die Umstände sind sehr variant: Wenn ich ganz klar die Absicht hatte, dir Schmerzen zuzufügen, dann werde ich das morgen vielleicht noch schlimmer versuchen (wenn mir vielleicht wirkungsvollere Mittel zur Verfügung stehen). Ebenso beim Terroranschlag: Ob einer passiert oder nicht, hängt ja viel weniger von Konstanten wie der Arbeit der Sicherheitsbehörden ab, sondern vielmehr der Entschlossenheit Einzelner ab.

Und die ist hochvariabel. Es wäre zB durchaus möglich, dass ab jetzt jede Woche jemand einen LKW kapert und ihn in eine Menschenmenge fährt, somit sich also die Zahl der Terroropfer binnen kürzester Zeit vervielfachen könnte. Ich sehe aber nicht, wie es möglich wäre, dass sich im gleichen Zeitraum die Zahl der Verkehrstoten vervielfachen könnte.

Es scheint also tatsächlich rational zu sein, bei der Frage nach der künftigen Gefahrenabschätzung die bisherigen Toten von Terroranschlägen viel stärker zu gewichten als die von Verkehrsunfällen.

*ismus-Vorwürfe und ihre Inkonsistenz

Als letzte Woche nach mehr als 20 Jahren wieder Der heiße Stuhl lief, ist mal wieder etwas ganz typisches für deutsche Debatten um Migranten passiert: Es kam ein Rassismus-Vorwurf.

Zunächst mal, was gesagt wurde. Spiegel Online hat den Moment festgehalten:

300.000 Muslime lebten in Berlin, so Sarrazin weiter, und 300.000 Polen – die allerdings keine solchen Probleme machten. “Das ist Rassismus in Reinform”, braust Hübsch auf, “nur zu ihrer Information.”

Und da ist mir etwas aufgefallen. Ich habe das mal in einer Grafik festgehalten:

Die *-ismus-Vorwurfs-Asymmetrie

ismen

Es fällt auf, dass die Feststellung von Ungleichheiten nur in bestimmten Fällen zu einem *-ismus-Vorwurf führt.

Ich hatte dann auf Facebook gefragt, woran das liegen könnte:

Ursache: Opfer-Status?

Mein erster Gedanke war, dass es mit bestehender oder nicht-bestehender Opfer-Rolle der “schlechter wegkommenden” Gruppe zusammenhinge:

  • Wenn Männer bei der Aussage schlecht wegkommen, sei es kein Sexismus, weil es Sexismus nur gegen schwächere Gruppen geben könne – und Männer eben nicht als schwach gelten.
  • Wenn Muslime bei der Aussage schlecht wegkommen, sei es aber eben Rassismus, weil Muslime als schwache Gruppe gelten.

Dann aber fragt sich, was mit den anderen Aussagen ist. Arme gelten ja durchaus schwächer als Reiche und Ungebildete durchaus schwächer als Gebildete. Dennoch habe ich bei o.g. Aussagen noch keinen Klassismus oder Ableismus-Vorwurf gehört.

Ursache: Impliziter “Biologismus“?

In den Facebook-Kommentaren gab es dann die These, dass der *-ismus-Vorwurf dann kommt, wenn der Hörer glaubt, dass Biologie mitgemeint sei: Bei “Muslime sind krimineller als Nicht-Muslime” könne man evtl. davon ausgehen, dass der Sprecher gleichzeitig mitmeinen würde, die Gene der Muslime seien daran schuld. Daher der Rassismus-Vorwurf.

Auch das fand ich aber wenig überzeugend: Ich glaube, auch wenn der Sprecher explizit dazu sagen würde, es wäre allein die kulturelle Prägung der Muslime schuld dadran, er würde trotzdem den Vorwurf kriegen.

Auch glaube ich, dass jemand, der bei der Männer/Frauen-Aussage biologische Gründe ins Spiel bringt, weiterhin nicht mit einem Sexismus-Vorwurf rechnen müsste.

Meine These: Behauptungen über die Welt können nicht *-istisch sein

Inzwischen ich glaube, dass Aussagen über den (vermeintlichen) Zustand der Welt prinzipiell nicht *-istisch sein können. Solche Behauptungen können nur richtig oder falsch (oder irgendwas dazwischen) sein.

Rassistisch oder sexistisch können m.E. nur Handlungen sein, zB eben die Schlechterbehandlung einer bestimmten Gruppe.

Wenn also zB jemand fordert, dass Männer, Frauen, Muslime oder Nicht-Muslime anders behandelt werden sollen, dann kann erst da schauen, ob Rassismus oder Sexismus vorliegt.

Aber wenn jemand nur behauptet, dass Männer oder Muslime irgendetwas mehr oder weniger seien, kann diese Aussage eben einfach nur einen Wahrheitsgrad von 0 bis 1 haben.

Sicher, so eine Behauptung kann natürlich auch grotesk falsch sein, sie kann auch böswillig motiviert sein – aber dann ist die passende Reaktion eben: Die tatsächlichen Fakten entgegenstellen. Eine Etikettierung dagegen bringt keinen Erkenntnisgewinn.

Ich glaube, das ist die wesentliche, fehlende Unterscheidung, die bislang soviel Verwirrung und Eskalation in die Debatten bringt.

Kriminalität und Nationalität: Überraschend schwache Argumente

Der Kriminologe Christian Pfeiffer gibt ein Interview zur Frage “Nationalität spielt bei Kriminalität eine Rolle spielt  – und wird breit und begeistert im Netz geteilt. Komisch, denn seine Argumente sind ziemlich dünn.

Ich gehe mal Schritt für Schritt durch:

Die Kriminalität in Deutschland geht im Gewaltbereich um 15 Prozent nach unten, gleichzeitig haben wir ein starkes Anwachsen des Anteils der “Fremden”. Die Schnellschuss-Antwort, die Ausländer sind die Bösen und verantwortlich für die Kriminalität, ist einfach falsch.

Dass Ausländer allein für sämtliche Kriminalität verantwortlich seien, behauptet ja auch niemand. Die Frage, die Pfeiffer vorher ja selbst stellt, ist, ob sie krimineller als Deutsche sind.

Und da ist der Befund, dass Kriminalität insgesamt zurückgeht bei steigender “Fremden”-Zahl, kein Gegenargument. Es könnte sich ja einfach um zwei überlagernde Trends handeln: Denkbar wäre folgendes:

  • Die Kriminalität geht einerseits stark zurück (zB wegen besserer allg. Prävention), sagen wir: um 20%.
  • Gleichzeitig steigt sie wiederum um 5%, weil es mehr “Fremde” gibt.
  • Am Ende kommen immer noch minus 15% raus.

Um meinen Punkt zu verdeutlichen, stellen wir uns folgenden Satz vor:

Brandstiftungen sind in den letzten 15 Jahren allgemein zurückgegangen, insofern ist die große Besorgnis um rechtsradikale Brandanschläge unberechtigt.

Der Satz wäre ziemlich verstörend und am Thema vorbei. Er entspricht aber der Logik Pfeiffers.

Polizeiliche Statistiken sind untauglich, um die Kriminalität von Deutschen und Ausländern zu vergleichen, weil die “Fremden” ein erhöhtes Risiko haben, angezeigt zu werden. Das ist nicht nur in Deutschland so, sondern weltweit. Ich sage es mal am Beispiel von deutschen Jugendlichen, die wir dazu erforscht haben: Wenn Max von Moritz verprügelt wird, ist die Anzeigebereitschaft 19 Prozent, wird Max von Mehmet verprügelt, ist sie über 31 Prozent.

Ah ja. Gilt das dann auch bei Männern und Frauen? Wenn man zB herausfinden würde, dass eine Frau, die einen Mann schlägt, seltener angezeigt wird, als ein Mann, der eine Frau schlägt – wären dann polizeiliche Statistiken untauglich, um die Kriminalität von Männern und Frauen zu vergleichen?

Ich finde ja die Erkenntnis erst einmal interessant: Eine verschieden hohe Anzeigebereitschaft ist tatsächlich ein verzerrender Faktor. Aber die Frage ist eben, wie sehr, und wie verbreitet der Effekt ist. Denn es gibt es ja auch verschiedene Delikte. Ich bezweifle zB., dass die Zahlen zu Mord und Totschlag durch verschieden hohe Anzeigebereitschaft verzerrt werden. Sein Rundumschlag, dass polizeiliche Statistiken untauglich seien, verwundert mich da einfach.

Sichere Forschungsergebnisse kann man nur dann gewinnen, wenn man beispielsweise 10.000 Frauen fragt: Sind Sie vergewaltigt worden? Wenn ja, wer war der Täter? Und haben Sie Anzeige erstattet? Erst auf der Basis solcher Untersuchungen kann man dem gerecht werden, was da im Augenblick öffentlich debattiert wird.

Dieser Ansatz erschließt sich mir nicht. Die offene Frage war ja der Faktor Nationalität. Dazu muss man den ja messen. Wenn ich Pfeiffer richtig verstehe, sollen die Opfer dann auch nach Augenschein und aus Erinnerung einschätzen, ob der Täter einen deutschen oder ausländischen Pass hatte. Und das soll verwertbare Ergebnisse bringen?

Am Ende wird es besonders spannend, wie Pfeiffer selbst sagt:

Auch die Prägungen in einer bestimmten Kultur sind gelernte Vorgänge. Wir haben in Deutschland sehr viele Menschen aus Ländern bekommen, in denen es männliche Dominanz gibt wie etwa in der Türkei. Wir haben 1998 damit begonnen, solches Macho-Verhalten systematisch zu erfassen und in Verbindung mit Kriminalitätsverhalten zu bringen. Am Beispiel Hannover zeigte sich, dass etwa 30 Prozent der männlichen jungen Türken gestandene Machos waren. Das Spannende ist, dass wir 2013 dieselbe Untersuchung wiederholt haben und einen steilen Rückgang auf zehn Prozent festgestellt haben. Parallel dazu hat eine Integration ins Bildungswesen und in Sportvereine stattgefunden.

Also ich fasse zusammen:

  • Männer aus einer südländischen Kultur waren vermehrt Machos.
  • Das hatte Einfluss auf ihr Kriminalitätsverhalten.
  • 15 Jahre später sind es viel weniger Machos.

Was will Pfeiffer uns damit sagen? Dass Integrationsmaßnahmen die Kriminalität senken können? Das glaube ich gern, wirklich.

Aber gleichzeitig hieße das doch, dass in der Ausgangssituation die Kriminalität eben deutlich höher war. Sein Beispiel suggeriert ja gerade, dass bei einem frisch Eingereisten aus einem Land mit Machokultur von einer höheren Kriminalität ausgegangen werden sollte. Und dass es einige Jahre dauern könne, bis diese spürbar zurückgehe, selbst mit Integrationsmaßnahmen. Oder verstehe ich das falsch?

~

Was mich so verwundert ist übrigens nicht, dass da jemand ein Interview mit schwachen Argumenten gibt. Das passiert ja nicht selten.

Was mich so verwundert ist, dass viele diese schwachen Argumente so freudig teilen, die sonst eigentlich Kluges schreiben, und die noch vor einigen Jahren bei “Killerspielen” (übrigens auch mit Herrn Pfeiffer) die Haare gerauft haben.

“Jeder vierte Deutsche findet, dass andere Deutsche Sex ohne explizite Einwilligung in Ordnung finden (könnten).”

Die EU hat eine Studie zum Thema Vergewaltigung machen lassen, und die Ergebnisse
haben zu vielen aufgeregten Überschriften geführt:

Dabei ist die zentrale Frage in der Studie recht mehrdeutig
formuliert gewesen. Sie lautete nämlich:

Es gibt Personen, die finden, dass Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung unter bestimmten Umständen gerechtfertigt ist. Glauben Sie, dass dies auf folgenden Situationen zutrifft?

Wenn hier nun zu einer der genannten Situationen zugestimmt wurde, so wurde
dies von den Wissenschaftlern als Rechtfertigung von Vergewaltigung gezählt.

Bei dieser Schlussfolgerung sehe ich zwei Probleme:

1. Implizit ein “explizit” reinlesen

Es ist durchaus möglich, dass manche Befragten hier die Frage beantworteten,
ob Geschlechtsverkehr ohne explizite Einwilligung unter bestimmten Umständen
gerechtfertigt sei. Beispielsweise war eine der Antworten

freiwillig zu jemandem nach Hause mitgehen, zB nach einer Party oder Verabredung

Mir scheint das in der Praxis sogar ein recht häufiger Fall zu sein, dass man zu
jemandem nach Hause nachts mitgeht und dann Sex hat, ohne explizit noch
einmal darüber zu sprechen. Das Abends-Nach-Hause-Mitkommen scheint für die meisten Menschen so eine starke Kommunikation für Ich-will-Sex zu sein, dass das Mem sogar für
Mainstream-Comedy-Serien und Werbespots taugt.

Eine viel passendere und genauso klare Formulierung wäre “gegen den Willen” gewesen (wie es übrigens auch im zuletzt reformierten und weit begrüßten neuen Strafrechtsparagraphen steht). Damit hätte man auch den Default-Effekt ausgeschlossen, und damit die Lesart, dass auch Sex ohne explizite Einwilligung, aber dennoch nicht gegen den Willen eines Beteiligten gemeint ist.

2. Unklarer Bezug der Frage

Die ganze Frage besteht aus einem Aussage- und einem Fragesatz. Hier nochmal,
diesmal mit Hervorhebung von mir:

Es gibt Personen, [die finden (A)], dass [Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung
unter bestimmten Umständen gerechtfertigt ist (B)]. Glauben Sie, dass dies auf folgenden Situationen zutrifft?

Gefragt wird also, ob etwas zutrifft. Aber was? Wer hier bei einer Situation
zustimmt, kann zweierlei gemeint haben:

  • (B): Geschlechtsverkehr ist ohne Einwilligung in dieser Situation gerechtfertigt
  • (A): Es trifft zu, dass es (andere) Personen gibt, die so etwas gerechtfertigt
    finden (ich aber nicht).

Während (B) sich tatsächlich als Zustimmung zu Vergewaltigung interpretieren ließe, ist (A) nur eine Aussage darüber, wie man die Situation auf der Welt einschätzt.

Diese Mehrdeutigkeit hat auch schon Erzählmirnix in einem Comic gut zusammengefasst.

Vermutlich wurde die Formulierung so gewählt, um dem Effekt der Sozialen Erwünschtheit vorzubeugen: Man nahm das, dass manche Befragte zwar Vergewaltigung (insgeheim) billigen, aber es in der Befragung nicht so klar sagen wollen würden (weil sie wissen, dass diese Antwort sozialen Normen widerspräche). Um das abzumildern, wurde ein einleitender Satz vorangestellt, der suggerierte, dass der Befragte mit seiner Meinung nicht allein wäre – somit also eher mit seiner tatsächlichen Überzeugung antworten werde.

Schade nur, dass dadurch eben diese Mehrdeutigkeit entstanden ist.

~

Ich weiß natürlich nicht, wie sehr diese Mehrdeutigkeiten tatsächlich die eigentlich intendierten Frage-Bedeutungen verzerrt haben. Der Effekt kann sehr klein oder sehr groß sein – aber genau dass ist die Tragik an der Studie: Man wird es nicht mehr herausfinden. Deswegen habe ich für diesen Artikel auch die Überschrift gewählt, die die Studie in dieser Frage hergibt.

Trotzdem: die anderen Erkenntnisse sind durchaus lesenswert, daher hier nochmal der Link zur Studie.

Hat Tsipras mehr erreicht als Konservative hätten erreichen können?

Man kann unendlich viel schrieben über das, was vergangenes Wochenende und überhaupt die Monaten davor zwischen Griechenland und der Eurogruppe passiert ist. Ich versuche mich hier mal mit der Sicht eines griechischen Syriza-Wählers.

Für den müsste die entscheidende Frage sein:

Hat Tsipras mehr erreicht als griechische Konservative hätten erreichen können?

Und da sehe ich ehrlich gesagt nix. Er hat zwar ein neues Hilfsprogramm bekommen mit großen Umfang, für die nächsten 3 Jahre. Er hat den Grexit abgewendet. Das mag Planungssicherheit bringen. Aber das ganze unter massivsten Auflagen, da ist keine linke Handschrift zu erkennen. Da ist nichts, was nicht auch Konservative bekommen hätten.

Auch wenn man sich sonst Tsipras’ bisherige Amtszeit anschaut, ist es eine Geschichte der Fehlschläge:

  • Er dachte zu Anfang im Winter, die anderen Südländer diplomatisch mit ins Boot gegen den Norden holen zu können und hat sich massiv verschätzt: Kein Südland wollte (offen) mitmachen.
  • Er dachte während der Verhandlungen, die Eurogruppe würde früher einlenken, aus Angst vor einer Zuspitzung der Lage in Griechenland zu verhindern, und hat sich verschätzt: Die Notkredite wurde gedeckelt, die Banken mussten schließen.
  • Selbst beim Ausruf des Referendums dachte er noch, die Eurogruppe würde mit ihm die kommende Woche noch weiter verhandeln. (Siehe dazu Varoufakis’ Pressekonferenz: Die Idee war, dass die Eurogruppe ihr Angebot solange verbessert, bis Tsipras seine Nein-Empfehlung in ein Ja noch ändert.) Er hat sich verschätzt.
  • Er hat dann das Referendum zwar gewonnen, aber faktisch nichts erreicht. Es kam kein besseres Angebot. Und damit…
  • … hat er die Demokratie in seinem Land beschädigt. Was soll ich als Grieche mir jetzt noch von einem Referendum in meinem Land erhoffen?
  • Er wird nun Syriza als linke Partei faktisch zerstören. Denn er muss nämlich die rausschmeißen, die das mit der linken Politik ernst gemeint haben. Damit wird es vorerst keinerlei nenneswerte linke Opposition in Griechendland geben.
  • Er wird dazu die Troika wieder rein kriegen.
  • Er wird griechischen Staatsbesitz privatisieren und damit eine linke Politik sogar für zukünftige Regierungen schwer machen bis ausschließen.

Was vielleicht das schlimmste ist: Er hatte offenbar tatsächlich keinerlei Plan B, für den Fall der gescheiterten Verhandlungen. Damit hatte er faktisch einen Graccident, also einen unkontrollierten Grexit in Kauf genommen. Welche fatalen Verwerfung gerade der für die ärmsten Griechen gehabt hätte, kann man sich ausmalen. Eigentlich unfassbar, diese Verantwortungslosigkeit.

Für Tsipras galt offenbar: “Lieber Austerität, als Grexit.” Was an dieser Einschätzung noch links sein soll, ist mir ein Rätsel.

Ohne Frage, ein Grexit hätte schwierige soziale Folgen. Genau das hätte er aber mit der Eurogruppe ausverhandeln und mit weichesten Daunenkissen abfedern können. Wer hätte schon Nein sagen können zu subventionierten Medikamenten und Treibstoffen? Auch ein immer gewünscher Schuldenschnitt wäre drin gewesen.

Vor allem aber hätte er wieder nicht nur formale, sondern auch faktische Souveränität für sein Land. Für die linkeste Politik, die man mit fast absoluter Mehrheit hätte machen können.

Was hatte dann alles  drin sein können: Radikale Reichenbesteuerung, völlige Bankenumstrukturierung, etc. Und wenn ihm sein Mini-Koalitionspartner in Quere gekommen wäre, dann eben Neuwahlen und mit absoluter Mehrheit weiter.

Was dagegen hat er jetzt? Einen Posten als Ministerpräsident, ohne eigene Mehrheit, der alle Wahlversprechen gebrochen hat.Better austerity than Grexit.

Krautreporter: Gemeinschaftlich finanziert, trotzdem nicht copyleft

Zu dieser Logik gehört es aber auch, dass die von allen bezahlten Inhalte dann auch allen zur Verfügung stehen. Das ist ein Kern der Idee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und eine große Chance gerade im digitalen Zeitalter. ARD und ZDF müssen sich nicht dagegen wehren, wenn ihre Inhalte auf Plattformen wie YouTube weiter verbreitet werden, denn diese Inhalte sind schon bezahlt. Im Gegenteil ist es in ihrem Interesse, wenn sie so viele Menschen wie möglich erreichen.

Diese sehr sinnvollen Sätze schrieb der Medienjournalist Stefan Niggemeier Anfang 2011. Das Argument ist einfach: Eine Gemeinschaft finanziert die Herstellung von Inhalten, also soll die gesamte Gemeinschaft sie auch nutzen können.

Heute ist nun das gemeinschaftlich finanzierte Projekt Krautreporter gestartet, einer ihrer Autoren und Fürsprecher ist Stefan Niggemeier.

Mehr als 17.000 Spender habe über eine Million Euro zusammen getragen, um damit “unabhängigen Journalismus ohne Werbung” zu garantieren.

Unabhängig, denn er ist ja schon bezahlt. Die Autoren haben ihr Einkommen bereits gesichert. Sie sind somit nicht gezwungen, ihre Inhalte nutzungsrechtlich zu sichern, um sie später noch irgendwie monetarisieren zu können.

Schon in der Funding-Phase im Mai fragte ich also, ob die Inhalte unter einer Copyleft-Lizenz stehen könnten (so wie z.B. die Inhalte der Wikipedia). “Im Prinzip spricht nichts dagegen”, hieß es noch …

… aber man tat sich schon damals mit dem Gedanken schwer.

Nun hat wohl die Skepsis gesiegt. Auf meine Nachfrage heute zum #Krautstart heißt es klar:

Es sind die altbekannten Argumente gegen freie Lizenzen. Dass sie auch dann kommen, wenn die Autoren schon Ihr Einkommen gesichert haben, hätte ich eigentlich nur bei ARD-Intendanten erwartet.

Krautreporter hat damit eine Chance verspielt: Ein gemeinschaftlich finanziertes Journalismus-Projekt, das seine Inhalte freigibt, hätte ein gutes Beispiel für ARD/ZDF abgegeben und die Diskussion um die Nutzung von deren Inhalten positiv belebt.

Es ist auch schade, weil ich selbst als einer der Unterstützer das Projekt sonst für so vielversprechend halte und ihm alles Gute wünsche.

Aber vielleicht können sich ja wenigstens die einzelnen Autoren – zum Beispiel Stefan Niggemeier – noch nachträglich entschließen, ihre eigenen Inhalte freizugeben. Bezahlt wurden sie ja schon.

Alle Tweets werden bereits gespeichert. Die Frage ist nur, wer Zugriff darauf hat.

Als ich gestern Tweets und Blogbeiträge zum #Listengate las, konnte ich meine Kinnlade nicht mehr hochkriegen. Ich war und bin schockiert über die Unkenntnis und Fehlschlüsse der Menschen, die sich darüber aufregten.

Für Leser, die gar nicht wissen, wovon ich gerade schreibe: Ein Mitglied der Piratenpartei hat bereits seit einem längeren Zeitraum Twitter-Nachrichten verschiedener Nutzer gespeichert und auch davon Screenshots angelegt. Dieses Archiv stellte er auch öffentlich im Internet zur Verfügung.

Dazu entstand gestern eine lebhafte Diskussion, in der sich auch der Bundesvorstand der Piratenpartei zu Wort meldete:

Weiterhin möchte die Piratenpartei nicht mit einer Seite in Verbindung gebracht werden, die den Eindruck der Vorratsdatenspeicherung erweckt. Weiterhin wollen wir klarstellen, dass wir Formen von Gesinnungsdatenbanken, Onlinepranger und Cybermobbing strikt ablehnen. Wir befinden uns derzeit in der juristischen Prüfung, ob und wenn ja wie, rechtlich gegen die genannte Tweetsammlung vorgegangen werden kann. Wir bitten um Geduld, bis die rechtliche Prüfung abgeschlossen ist.

Dieser Kommentar hat mich fassungslos gemacht. Eine für Netzkompetenz stehen wollende Partei will tatsächlich prüfen, ob das Aggregieren und Bereitstellen öffentlicher Daten im Internet legal ist.

Liebe Kritiker und Besorgte:

  1. Alle jemals getwitterten Tweets sind bereits gespeichert! Bei Twitter! Twitter hat sie alle. Alle Menschen, denen Twitter Zugriff darauf gibt, können alle Eure Tweets lesen. Vielleicht sogar auch die gelöschten. Nochmal: ALLE TWEETS WERDEN BEREITS GESPEICHERT!
  2. Daraus wird klar: Die Frage ist nicht, ob Tweets gespeichert werden sollen (denn das werden sie ja bereits), sondern wer Zugriff auf diese Tweets hat. Nochmal: DIE FRAGE IST NICHT, OB GESPEICHERT WIRD. DIE FRAGE IST, WER ZUGRIFF AUF DAS GESPEICHERTE HAT!

Bislang hat nur Twitter diesen Zugriff und alle, die ihn sich verschaffen. Dazu gehört Google, aber auch jeder interessierte Programmierer.

Twitter unterstützt übrigens jeden Interessierten dabei tatkräftig: Sie bieten eine API an. Das ist eine Schnittstelle, die ein Programmierer mit einem Programm abfragen und jeden beliebigen öffentlichen Tweet kopieren kann. Dies kann auch völlig automatisiert im Hintergrund auf einem gemieteten Server geschehen. Man muss also gar nicht selbst vorm Computer sitzen. So etwas hatte ich auch selbst öfters gemacht, zB während des BPT12, um alle Tweets mit dem Hashtag #bpt12 zu speichern und gesammelt öffentlich zur Verfügung zu stellen.

Halten wir fest: Jeder Programmierer kann sich also bereits heute ein eigenes Twitter-Archiv erstellen – auch “im Geheimen”, ohne dass es irgendwer anders merkt. Niemand kann also sicher sein, dass seine öffentlichen Tweets nicht schon in mehreren Datenbanken sind.

Daraus ergibt sich ein Machtgefälle: Menschen, die programmieren können, können sich so ein Archiv erstellen und bekommen damit mehr Macht, als Menschen, die nicht programmieren können.

Ich wiederhole also nochmal: Die Frage ist nicht, ob gespeichert wird. Die Frage ist, wer die Fähigkeit hat zu speichern und wem er dann Zugriff darauf gibt.

Die Lösung kann daher nur sein: Das Machtgefälle muss aufgehoben werden. Alle sollten den gleichen Zugang bekommen. Alle sollten die Möglichkeit haben, ein Twitter-Archiv zu nutzen. Auch die, die nicht programmieren können.

Ich habe daher einen Antrag im Berliner LiquidFeedback gestellt, dass der Landesvorstand selbst so ein Twitter-Archiv betreibt und dort ganz transparent einfach alle Tweets aller Berliner Piraten speichert. (Berlin, weil ich selber da Mitglied bin. Könnte man aber auch gleich im Bund machen.. stelle den Antrag vllt. also auch noch ins Bundes-Liquid.)

Die Neu-Phase läuft noch bis Samstag-Nachmittag, es werden noch 9 Unterstützer gebraucht. Bitte unterstützt ihn!

Nachtrag 13.7.: Es gibt nun auch eine Initiative im Bundes-LiquidFeedback.

Tabus und Ausgrenzung scheitern – Was tun mit bösen Meinungen im Internet?

In meiner Timeline habe ich vor einiger Zeit einen Artikel von Claudia Roth in der “Welt” gesehen. Unter der Überschrift Über Homosexualität darf man nicht streiten argumentiert sie, warum allein die Diskussion mit Homosexuellen-Gegner schon falsch ist.

Meine erste spontane Frage war: “Und was sollte man statt streiten tun? Sich prügeln?”

License: CC-by-sa warrenski/flickr

“Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen”
License: CC-by-sa warrenski/flickr

Dann wurde mir klar, dass das Thema eigentlich einen umfassenden Blog-Artikel wert ist, denn die dahinter stehende Haltung beschäftigt mich schon seit Jahren.

Claudia Roths Gedanken sind exemplarisch für eine breit geteilte Auffassung, nach der bestimmte Meinungen so böse und schädlich sind, dass sie von der (öffentlichen) Diskussion ausgeschlossen, also tabuisiert sein sollten. Einher geht dabei oft die Forderung, dass die bösen Menschen, die diese Ansichten teilen, auch sozial ausgegrenzt werden.

Weitere Beispiele für Tabus sind der Berliner Konsens, der Straftatbestand der Holocaustleugnung und das Zitat “Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen”.

Ich glaube, dass Tabus und Ausgrenzung zukünftig kaum noch funktionieren werden. Die kurze Begründung dafür ist: Das Internet ist schuld.

Für die längere Begründung trage ich im FAQ-Stil die mir bekannten Pro-Argumente für Tabus zusammen und entgegne ihnen. Schließlich will ich – nachdem ich erläutert habe, warum Tabus nicht mehr funktionieren werden – auch vorschlagen, was stattdessen funktionieren könnte.

“Durch Tabuisierung böser Meinungen kommen weniger Menschen in Kontakt mit diesen, ihre Verbreitung wird also verhindert.”

Beispiel: Dank des Straftatsbestands der Holocaustleugnung ist der Leuchter-Report in Deutschland nicht verfügbar.

Gegenargumente:

Im Internet haben Tabus immer weniger praktische Relevanz, wenn es um Verfügbarkeit geht. Ein sehr deutliches Beispiel dafür ist die Holocaustleugnung. Sie steht in vielen Ländern unter Strafe, darunter auch in Deutschland, dennoch ist es dank des Internets problemlos von Deutschland aus möglich, an umfangreiche Holocaustleugnungen zu kommen. So wird der o.g. Leuchter-Report direkt von seiner englischsprachigen Wikipedia-Seite aus verlinkt. Dies gilt auch für andere tabuisierte Ansichten: Webseiten von Homosexuellen-Gegnern, Sexisten, Rassisten finden sich im Netz zu Hauf.

Man kann fast sagen: Egal, welche rassistische, sexistische oder menschenverachtende These ich suche – im Internet gibt es immer eine Webseite dazu.

Die konkrete praktische Wirkung, nämlich die Verhinderung der Verbreitung, kann ein Tabu also höchstens noch bei schlecht versierten Google-Benutzern entfalten. Eine praktische Relevanz von Tabus ließe sich eigentlich nur mit einer effektiven Internet-Zensur wiederherstellen.

“Wenn schon Tabus nicht Verbreitung böser Meinungen verhindern, so erschweren oder verlangsamen sie diese wenigstens.”

Beispiel: Wenn ein Holocaust-Leugner nicht im Fernsehen auftreten und den Leuchter-Report vorstellen darf, erfahren weitaus weniger Menschen von diesem Report.

Gegenargumente:

Dieser Punkt ist heute zum Teil noch wahr. Allerdings wird das nicht mehr lange so bleiben.

Es gibt heute tatsächlich noch große Reichweiten-Unterschiede zwischen verschiedenen Medien und einzelnen Internet-Nutzern mit Facebook- und Twitter-Konto. Wenn sich hier nun “die Großen” zusammenschließen, um ein Tabu durchsetzen, können sie tatsächlich die Verbreitung verlangsamen. “Totschweigen” ist der bekannte Begriff dafür.

Diese Reichweiten-Unterschiede bestehen heute noch zum einen über das Medium: Immer noch viele Leute schauen ausschließlich oder größtenteils Fernsehen und haben kein Internet; was also im TV nicht vorkommt, kommt nicht bei ihnen an.

Ebenso gibt es Reichweiten-Unterschiede aufgrund von Reputation und Bekanntheit: Das Blog von Lieschen Müller ist genauso weltweit zugänglich wie Spiegel Online, allerdings wird Spiegel Online aus verschiedenen Gründen öfter regelmäßig gelesen.

Beides aber verändert sich gerade massiv: Die Nur-TV-Gucker kriegen immer öfter Internet. Oder sie sterben weg und Internet-Nutzer wachsen nach. Und auch wenn Frau Müllers Blog heute nicht gelesen wird, so wäre das morgen sicher ganz anders, wenn sie dort als einzige ein Foto von einem im Hudson River notgelandeten Flugzeug oder ein Video von einem herabstürzenden Kometen hätte.

Es gibt unzählige Beispiele für solche viralen Verbreitungen. Ihnen gemein ist, dass sie vielleicht verstärkt oder nicht verstärkt, aber nicht verhindert werden können, solange es genügend Interesse an der Information gibt.

Das oben genannte Beispiel können wir daher zum Test mal umformulieren: Wenn ein Geheimdienst-Mitarbeiter nicht im Fernsehen auftreten und die Geheimdokumente über globale Überwachung vorstellen darf, erfahren weitaus weniger Menschen von diesen Dokumenten.

Nun, ein Gegenbeispiel ist uns da gut bekannt.

“Durch die soziale Ausgrenzung böser Menschen, die böse Meinungen vertreten, wird das Leben dieser bösen Menschen erschwert. Schließlich wird bei ihnen der Leidensdruck so groß, dass sie aufhören, böse Meinungen zu verbreiten oder überhaupt zu haben.”

(Auch für Zuschauer entsteht hier eine Wirkung: Sie sehen, was einem droht, wenn man böse Ansichten hat. Sie vermeiden somit schon im Voraus, böse Ansichten zu äußern oder über sie überhaupt erst nachzudenken.)

Beispiel: Jemand, der die Gleichwertigkeit homosexueller Lebensweisen bezweifelt, darf nicht mehr in seine Lieblingskneipe gehen. Dadurch wird sein Leben freudloser, er stellt somit seine Ansicht in Frage, ändert sie und kann schließlich nach ausreichend Reuebekundungen wieder in seine Lieblingskneipe. (Andere “Homophobe” haben währenddessen lieber erst ganz auf die Äußerung ihrer Haltung verzichtet.)

Gegenargumente:

Dieser Punkt begann sich schon mit der Urbanisierung zu verändern und erfährt durch das Internet nochmal einen weiteren Schub.

Wenn ich in einer Dorfgemeinschaft lebe, habe ich tatsächlich wenig Auswahl, meine lebensnotwendigen Bedürfnisse zu erfüllen. Wenn der Bäcker, der Arzt und der Schmied sich zusammentun und mich ausgrenzen, ist quasi mein Leben bedroht, zumindest aber massiv erschwert. Auch die potenziellen Partner für meine sozialen Bedürfnisse (Freunde, Sex- und Lebenspartner) sind äußerst begrenzt. Es ist also sehr riskant, es sich mit zu vielen zu verscherzen.

Als Stadtbewohner ist das schon anders. Es ist unwahrscheinlicher, dass sich sich alle Bäcker oder Ärzte zusammentun, da es eben mehr Leute sind, die alle von meiner Boshaftigkeit überzeugt sein müssen. In einer Großstadt ist das quasi vollends unwahrscheinlich.

Und so wie Bäcker und Ärzte, die meine physischen Bedürfnisse befriedigen, ersetzbarer geworden sind – so führt das Internet auch dazu, dass meine Bekannten und Freunde, die meine sozialen Bedürfnisse erfüllen, ersetzbarer werden. Natürlich mag der Bruch einer Freundschaft dennoch unangenehm und für vieler ein tragischer Verlust sein, aber die Folgen werden tragbarer. Es folgt dann eben nicht zwingend erst eine lange Periode Einsamkeit, bis man wieder jemanden seinesgleichen gefunden hat – dank Internet geht das heute viel schneller.

Aus dem Grund findet man wohl auch Konformismus häufiger auf dem Land, und Querdenker hat es schon immer eher in die Städte und Metropolen gezogen. (Das heißt übrigens nicht, dass es nicht auch in Großstädten Konformisten gibt – nur die Querdenker sind dort eben nicht allein.) Mit dem Internet wird das extremer: Es ist nicht nur eine Millionen-, sondern eine Milliarden-Metropole.

Das Drohpotenzial einer Ausgrenzung ist also dank des Internets viel geringer. Anknüpfend an den o.g. Satz kann man sagen: Egal, wie rassistisch, sexistisch oder menschenverachtend ich bin – im Internet finde ich immer jemanden anderes, der es auch ist.

“Menschen, die unter bösen Meinungen besonders leiden, kommen dank Tabus seltener in Situationen, in denen sie solche Meinungen mitkriegen – und dabei Leid erfahren müssen”

Beispiel: Wenn es ein Tabu ist, die Gleichwertigkeit homosexueller Lebensweisen in Frage zu stellen, bekommen Homosexuelle seltener das Gefühl, nicht gleichwertig zu sein.

Gegenargumente:

Mit diesem Punkt würde ich zunächst noch am ehesten mitgehen. Es mag tatsächlich sein, dass ein Tabu die regelmäßige Konfrontation mit einer bösen Meinung verringert oder zumindest kontrollierbarer macht: Wenn das Infragestellen homosexueller Lebensweisen ein Tabu ist, was nur in dunklen Internet-Foren stattfindet, dann begegne ich dem zumindest im normaler Alltag nicht, zumindest viel seltener. Wenn ich also unter dieser Infragestellung besonders leide, würde ich dank des Tabus seltener leiden.

Allerdings können Tabus keine zufriedenstellende Lösung gegen das Leiden sein. Schließlich gibt es viele Inhalte, die bei manchen Menschen leidvolle Situationen hervorrufen können: Jemand, der kürzlich sein Kind bei einem Amoklauf verloren hat, könnte durch die filmische Nachstellung oder die Nachricht über einen neuen Amoklauf leiden. Es wäre keine gute Lösung, die Thematisierung von Amokläufen nun komplett mit einem Tabu zu belegen.

An solchen Stellen wird heute oft schon mit sogenannten Triggerwarnungen gearbeitet: Man weist die Leser zu Beginn darauf hin, dass gleich eine Thematisierung kommt, die Leid verursachen kann. Das ist vom Prinzip her ein sinnvoller Ansatz: Nicht der Sender wird beschränkt, etwas überhaupt zu sagen; sondern es wird dem Empfänger überlassen, was er rezipieren möchte.

Diese Filtersouveränität ist also effektiver, um Menschen leidvolle Begegnungen mit bösen Meinungen (oder sonstigem “Leid-triggerndem”) zu ersparen.

Übrigens, genauso wie es Filtersouveränität geben sollte, sollte es auch so etwas wie “Beteiligungs-” oder “Sende-Souveränität” geben: Ob man seine Meinung äußert oder lieber für sich behält – ob man zB als Homosexueller Fragen über seine Lebensweise beantwortet – so etwas sollte natürlich jedem selbst überlassen sein. Das Verbot, eine Meinung zu äußern, sollte nicht im anderen Extrem zu einem Gebot werden.

Alternativen zu Tabus

Wenn also Tabus nicht mehr so wirkungsvoll sind, wir könnte man stattdessen mit bösen Meinungen umgehen? Ich sehe da im Prinzip zwei Strategien: Ignorieren und Aufklären.

Welche man davon wählt, sollte (neben dem eigenen Interesse, siehe “Sende-Souveränität”) vor allem davon abhängen, welche Relevanz die böse Meinung hat. Relevanz wiederum definiert sich darüber, ob eine bestimmte Anzahl an Menschen erreicht ist, die eine böse Meinung für gut befinden. Und diese “bestimmte Anzahl” kann auch variieren je nach Reichweite des eigenen Mediums, über das man senden kann.

Andere Faktoren, wie zB die Bösartigkeit der Meinung, sollten explizit keine Rolle spielen.

Ein Beispiel:

  • Angenommen, manche Menschen halten die Gleichwertigkeit von Rothaarigen für nicht gegeben. Sie finden stattdessen, Rothaarige sollte keine Rechte besitzen und anderen Menschen als Sklaven dienen. Die Meinung wird jedoch von kaum jemandem geteilt.
    Zweifelsohne ist diese Meinung menschenverachtend. Dennoch wäre hier Ignorieren ein sinnvoller Umgang damit. Denn eine detailreiche Thematisierung und Aufklärung, insbesondere in einem Reichweiten-starken Medium, würde dieser Meinung nur eine falsche Relevanz zuschreiben.
  • Angenommen aber, diese Meinung würde von vielen Menschen geteilt werden: Mehr als 30% würden bezweifeln, dass Rothaarige volle Menschen- und Bürgerrechte haben sollten.
    Hier wären sicher Thematisierung und Aufklärung sinnvoll, ja sogar sehr wichtig. Denn keine Aufklärung würde bedeuten, dass sich mögliche Fehlannahmen über Rothaarige unwidersprochen verbreiten könnten.

Der Verzicht auf Tabus bedeutet also nicht den Verzicht auf Kritik. Ganz im Gegenteil: Der Verzicht auf die Tabuisierung einer bösen Meinung kann sogar die Kritik daran vereinfachen oder gar erst richtig ermöglichen: Denn um eine These zu kritisieren, muss man sie erst einmal darstellen. Je ausführlicher man das tun kann, auch indem eben die Vertreter der These selbst zu Wort kommen, desto originalgetreuer ist diese Darstellung und somit desto zielgenauer, detailreicher, tiefergehender und damit auch überzeugender die Kritik.

Rowan “Mr. Bean” Atkinson hat das übrigens noch besser formuliert, ihm überlasse ich das Schlusswort:

‘I am not intolerant’, say many people; say many softly spoken, highly-educated, liberal-minded people: ‘I am only intolerant of intolerance’. […] if you think about this supposedly inarguable statement for longer than five seconds, you realize that all it is advocating is the replacement of one kind of intolerance with another. Which to me doesn’t represent any kind of progress at all.

Underlying prejudices, injustices or resentments are not addressed by arresting people: they are addressed by the issues being aired, argued and dealt with preferably outside the legislative process. For me, the best way to increase society’s resistance to insulting or offensive speech is to allow a lot more of it. As with childhood diseases, you can better resist those germs to which you have been exposed.

Und nochmal Piraten-Liste / Selbstverpflichtung

In einem weiterem Kommentar zum Artikel Berliner Piraten-Liste ohne “Feministen-Stimmen” kritisiert Eric meine Schlußfolgerung, auch ohne Selbstverpflichtung bliebe die Top3 wohl weiblich:

Du vergisst leider die Möglichkeit, dass die Selbstverpflichtung und die Diskussionen darüber das Wahlverhalten auch derjenigen beeinflusst hat, die trotzdem keine vier Frauen auf die ersten vier Plätze gewählt haben. Sowie auch (wie LeV schon schreibt) den möglichen Einfluss vor der Wahl, nämlich auf die Bereitschaft überhaupt erst zu kandidieren.

Deine Schlussfolgerung “Es sieht ganz danach aus, dass wir auch ohne die Selbstverpflichtung einiger Piraten, 4 Frauen nach vorne zu wählen, 3 weibliche Spitzenkandidaten hätten.” ist daher absolut nicht valide. Wenn Du wirklich etwas wissen willst, musst Du die Leute befragen.

Das mit dem Leute befragen fand ich tatsächlich eine gute Idee. Ich habe das mal gemacht und erhielt via Twitter folgende Antworten:

Zumindest unsere Spitzenkandidatinnen hätte also eine fehlende Selbstverpflichtung nicht von der Kandidatur abgehalten.

Ich finde, es ist auch sinnvoll zu trennen zwischen einerseits dem Ziel, ein angenehmes Klima zu schaffen, in dem sich viele gute Frauen zu einer Kandidatur entscheiden und anderseits dem Ziel, nachher eine Liste mit vielen guten Frauen zu haben. Das eine will die Chancengleichheit (verbessern), das zweite Ergebnisgleichheit.

Ich denke, dass Ergebnisgleichheit ein seltsames Ziel für eine liberale Partei wäre, Chancengleichheit hingegen eine ziemlich gute und wichtige Sache ist. Und alle Zahlenspielereien weisen ja daraufhin, dass die kandidierenden, guten Frauen dann auch von allen – und nicht nur bewusst feministisch engagierten – gewählt wurden. Wenn also gute Leute kandidieren, werden sie – egal welchen Geschlechts sie sind – offenbar auch gewählt.

Sinnvoll ist also, herauszufinden, was gute Frauen (bzw. Menschen allgemein) dazu bewegt zu kandidieren – und auch, was sie davon abhält. Und da hab ich mich vor einigen Tagen diesen Artikel erinnert, in dem die JSConf beschrieb, wie sie den Anteil ihrer weiblichen Speaker wesentlich erhöhte:

The ingredients are as simple as they are obvious:

  1. Open an inviting call for presentations (CFP).
  2. Select talks anonymously, and state in the CFP that you do so.
  3. Encourage people from under-represented groups to submit to the CFP.

Sie haben also einerseits direkt Frauen ermutigt, einen Vortrag einzureichen und gleichzeitigt angekündigt, einen anonymen Auswahlprozess zu machen – also das Geschlecht bewusst nicht zu berücksichtigen. Warum, das haben sie so begründet:

More importantly: if you are going around asking people to speak at your event and they are generally under-represented at your event (say, women at a tech conference), you need to avoid treating them in a special way. Nobody wants to be invited to speak because of their gender, or skin colour, or sexual orientation, or whatever else. Nobody likes special treatment. Nobody likes to be the token-representative.

Ein sinnvoller Gedankengang, finde ich. Es könnte also sein, dass Selbstverpflichtungen, wo Wähler ankündigen, das Geschlecht beim Wählen bewusst zu berücksichtigen, nicht nur ermutigen, sondern auch Leute vom kandidieren abhalten (– so gut diese Selbstverpflichtungen auch gemeint sein mögen).

Berliner Piraten-Liste ohne “Feministen-Stimmen”

Am vergangenen Wochenende haben die Berliner Piraten ihre Kandidatenliste für die kommende Bundestagswahl gewählt. Für viele überraschend daran war, dass auf die ersten vier Plätze nur Frauen gewählt wurden, und auf der Liste insgesamt 8 von 14 Frauen stehen, was einen Frauenanteil von 57% ausmacht. Und das ohne eine Frauenquote.

Daraufhin gab es einzelne Stimmen, diese Frauen seien nur wegen ihres Geschlechts gewählt worden, dank einer “Quote im Kopf” sozusagen. Und so ganz unbegründet ist der Verdacht nicht: Vor der Wahl gaben 34 Piraten eine “Selbstverpflichtung” ab, auf die ersten 4 Plätze nur Frauen zu wählen.

Ich fand diesen Verdacht jedoch schon beim ersten Hören nicht überzeugend. Ich halte selber wenig von Geschlechterquoten und hatte versucht, mit dem Geschlecht der Kandidaten so umzugehen wie mit deren Hautfarbe, sexueller Orientierung etc.: Es nämlich nicht bewusst zu beachten, anstatt es zu beachten. Dennoch kam ich bei meinem eigenen Stimmzettel auf 40% Frauen im Ja-Bereich und sogar 60% in meiner Top 5 – was überdurchschnittlich war, bei nur 28% Frauen unter allen Kandidaten.

Aber ich empfand die Auswahl eben so. Es gab für mich einfach mehr kompetente Kandidatinnen als Kandidaten.

Ich vermutete nun, dass da auch anderen Wählern so ging. Und das schöne an unserem Schulze-Wahlverfahren ist, dass nachher alle Stimmzettel einzeln digital vorliegen. Man muss also gar nicht groß spekulieren, sondern kann selber direkt mit den Daten herumspielen.

Ich wollte also wissen, auf welches Ergebnis man kommt, wenn man die Stimmen der “Selbstverplichtungs-Piraten” nicht berücksichtigt. Dazu habe ich alle Wahlzettel herausgenommen, auf deren vorderen Präferenzstufen mindestens 4 Frauen und kein Mann angekreuzt waren. Das sind genau 56 Wahlzettel.1

Mit den übrigen 247 Stimmzetteln habe ich dann das Ergebnis neu berechnet. Und so hätte diese Liste ausgesehen (in Klammern die Plazierung auf der Original-Liste):

  1. Cornelia Otto (1)
  2. Miriam Seyffarth (2)
  3. Lena Rohrbach (3)
  4. Andreas Pittrich (5)
  5. Ulrike Pohl (4)
  6. Jan Hemme (7)
  7. Laura Dornheim (6)
  8. Anisa Fliegner (8)
  9. Enno Lenze (9)
  10. Michael Melter (12)
  11. Stephan Urbach (11)
  12. Daniel Schweighöfer (14)
  13. Dr. Jens Kuhlemann (nicht gewählt, Schulze-Rang 17)
  14. Heide Hagen (10)

Die wesentlichste Änderung: Aus der weiblichen Top4 wäre eine weibliche Top3 geworden, sonst gäbe es ein paar Verschiebungen um 1 oder 2 Plätze. Mareike Peter wäre nicht mehr dabei, dafür Jens Kuhlemann drin. Der Frauenanteil der gesamten Liste wäre also nur von 57% auf 50% gesunken.

Und so hätten die Präferenzprofile der ersten 3 ausgesehen:

stimmenprofil-praeferenzwahl-avb13-12stimmenprofil-praeferenzwahl-avb13-44stimmenprofil-praeferenzwahl-avb13-27

Auch hier also keine wesentliche Veränderung zum Original.

Kurzum: Es sieht ganz danach aus, dass wir auch ohne die Selbstverpflichtung einiger Piraten, 4 Frauen nach vorne zu wählen, 3 weibliche Spitzenkandidaten hätten.

Anhang:

1 Es kann natürlich auch Wähler gegeben haben, die aus anderen Gründen als der Selbstverpflichtung 4 Frauen und keinen Mann nach vorne gewählt haben. Diese “False Positives” würden sich aber zu Ungunsten des Frauenanteils auswirken. Trotzdem bleibt der Frauenanteil aber hoch.

Nachtrag 3.3.: Berliner Piraten-Top3 bleibt weiblich, selbst wenn …